17.04.2019

Stadthalle ist so gebaut, dass sie funktioniert

Als ehemaliger Görlitzer setzt sich Wolfgang Liebehenschel dafür ein, jetzt nicht die Chancen zu verspielen. Ein Gastbeitrag.

 

36 Millionen Euro stehen abrufbereit im Wartestand – eine ungeheure Summe. Der „Verschiebebahnhof“ aber für die denkmalsgerechte und ökonomisch wirksamste bauliche Sanierung der Görlitzer Stadthalle hat offenbar endlose Gleislängen.

 

Eine neue Idee der Nutzung durch ein bezahltes Büro Drees & Sommer fährt darauf ab, obgleich die meisten der Schienenstränge auf dem Görlitzer Güterbahnhof zugunsten einer neuen Waldorfschule abgeschafft sind. Doch ist kein Prellbock in Sicht, wo das „Drama Stadthalle“ erfolgreich enden könnte. Ideen der Berater sind angesagt, aber die zur Beteiligung aufgerufene Bürgerschaft von Görlitz über die bestmögliche Nutzung kennt diese nicht, und es wird ihr das Mitdenken und Engagieren durch lokale Ideenvorschläge schwer gemacht, wenn nicht gar vorenthalten.

 

Schauen wir auf die ursprüngliche Idee der Stadthalle mit Garten: als Musikhalle wurde sie um 1910 von dem für diese Funktion beauftragten Baumeister Bernhard Sehring, einem professionellen, rationell denkenden und erfahrenen Fachmann erbaut. Die Akustik war der Zeit gemäß glänzend, der Schall in einer knappen halben Sekunde in der letzten obersten Reihe, der Nachhall unbedeutend.

 

Sie bildete die Heimstadt schlesischer Musikwochen, für Chor-und Orchesterübungen bedeutender Klangkörper, großer Jubiläen, bürgerlicher Tanzveranstaltungen, von Banketts und Gala-Abenden sowie Restaurant-Nutzung – natürlich nicht immer alles für den Kleinen Mann. Doch für den gab es den Stadthallengarten und den Kleinen Saal.

 

Bald aber merkten die Betreiber, dass die Halle viel mehr kann. So kam es zu einer multikulturellen Nutzung vielfältiger Art. Es führt hier zu weit, die mindestens 200 Möglichkeiten aufzuzählen. Aber: stattgefundene Kinderfeste im Winter, moderne Möbel-, Kunst- und Antiquitäten-Ausstellungen seien neben Musik- und Sportveranstaltungen sowie Messen aller Art wenigstens erwähnt.

 

Der herrliche Raum mit den Emporen zum Zuschauen, die Eleganz der Beleuchtungen, die Feinheit der Jugendstil-Stuckaturen, die Orgel, die Verbindungen zum Flanieren in Vestibül und Stadthallen-Restaurants brachten winters und sommers (per Straßenbahnlinie 2) Tausende erwartungsfrohe Görlitzer in diese städtische „Halle für Alle“.

 

Sie stand da als beglückendes und ästhetisch anziehendes Haus für die Öffentlichkeit, ob Kongress, Boxen, Schulfeiern, Kleintierausstellungen, Pioniertage, Schauprozesse, Kirchentage oder Furtwängler, Hanell, Masur und Mauersberger – man jagte dem „schönen Gebilde“ nach, weil es sich schlichtweg charmant „anbot“. Auch welch‘ Karneval in den großzügigen Räumen! Warum wird dieses enorme baukünstlerische Angebot inmitten Europas nicht schnellstens wieder hergestellt?

 

Von 1910 bis 2004 haben sich doch der Magistrat und das Stadtparlament nicht dauernd mit Veranstaltungsprogrammen oder -prognosen am Projekt gegenseitig und verkrampft so festgehalten oder aufgerieben, wie es in dem heutigen Hick und Hack mit persönlichen Animositäten von außen sichtbar wird.

 

Die beachtliche Architektur des Gebäudes und sein Umfeld (Garten) mittels 36 Millionen Euro saniert hinzustellen und anzubieten, lockt von selbst die Nutzer an. Und Deutsche und Polen hätten eine spitzenhaft hervorragende Begegnungsstätte, wo die beiden alten Stadthälften Görlitz und Zgorzelec zusammenwachsen könnten, wie es Europa, Deutsche und Polen und der Friede doch möchten.

 

Wolfgang Liebehenschel ist gebürtiger Görlitzer, der sein Berufsleben, zuletzt als leitender Baudirektor, in (West-)Berlin verbrachte. Seiner Initiative ist die Aufstellung des Luther-Denkmals 1983 mit zu verdanken.